Elternarbeit in der Ergotherapie ein therapeutischer Ansatz unserer Praxis

Bei der ergotherapeutischen Behandlung von Kindern hat die Elternarbeit eine sehr wichtige Rolle. Die Einbindung der Eltern ist eine Notwendigkeit um einen langfristigen Therapieerfolg zu erzielen. Dazu ist es wichtig mit den Eltern die Probleme des Kindes offen anzusprechen. Seit Jahren wird diese Elternarbeit durch ganz verschiedene Möglichkeiten eingesetzt, z.B.:

Mögliche Teilnahme an den Therapiesitzungen, dieses vor allem bei Kleinkindern

Information der Eltern über das entsprechende Krankheitsbild

Versorgung mit Aufgaben für häusliche Übungen

Information über die Therapieziele

Gemeinsame Elternabende

Kontakt mit Schulen, Kindergärten und Einrichtungen

Grade in den letzten Jahren zeigen sich jedoch immer mehr “Problemfälle“ welche die “klassische“ Elternarbeit schwierig machen, bzw. ein entsprechendes Umdenken und auch eine besondere Herangehensweise notwendig machen.

 

Welche Voraussetzungen werden von den Eltern erwartet, um eine gewünschte, oder zumindest angemessene Elternarbeit leisten zu können?

Grundlegende erzieherische und pädagogische Kompetenz

Eine empathische Einsicht in die Problemwelt des Kindes

Entsprechende Ressourcen im häuslichen Umfeld wie Zeit, Ruhe, Geduld und auch Konsequenz, Ausdauer und Motivation

Gemeinsame Sichtweise auf Werte und Normen aller an der Erziehung beteiligten

Eine ausreichende kognitive Leistungsfähigkeit, um den Worten und Empfehlungen folgen zu können.

Selbstvertrauen in die eigenen menschlichen Fähigkeiten und die erzieherische Kompetenz

Akzeptanz der Kompetenz der Ärzte, Therapeuten, Erzieher oder Lehrer

Der Alltag, den wir in der Praxis erleben, ist da leider oftmals weit von dieser gewünschten Realität entfernt

Ich möchte Ihnen hier ein kleines Beispiel nennen.

Frau K kommt mit dem 5-jährigen Tom in die Praxis. Ganz aufgeregt erzählt sie, dass sie von Ihrem Kinderarzt ein Rezept für die Ergotherapie bekommen hat, das Kind sei bei der Schuluntersuchung aufgefallen, weil es nicht gut malen könne und den Stift nicht richtig hält.

Auf dem Rezept steht „motorisch funktionelle Behandlung“.

In der Befundaufnahme stellen wir fest, Tom malt nicht gerne, und weil er nicht gerne malt, hat er allerdings auch keine Stifte mehr zu Hause. Er ist gerne draußen und spielt Fußball, Lego und Basteln mag er nicht, usw.

Das ist sicherlich auch alles noch im erwarteten Rahmen.

Der Hinweis, dass Tom durchaus trotzdem auch Stifte angeboten werden sollten, damit er zumindest die Möglichkeit hat, sich bei passender Gelegenheit im Malen auszuprobieren, kommentiert die Mutter mit den Worten:

“Ach…wissen Sie… macht der eh nicht, der bleibt doch auch keine 2 Minuten sitzen“.

Natürlich fragt man an diesem Punkt weiter nach.

“Tom rennt nur rum, er sitzt nie lange ruhig, er wird schnell wütend und dann wirft er auch schon mal Dinge durch die Wohnung“. Er bleibt nicht am Tisch sitzen, und die Eltern haben keine Handhabe ihn dazu zu bringen. Vieles wurde versucht, letztendlich blieben nur Strafen, Druck und Verbote übrig, wie so oft leider.

Im weiteren Verlauf berichtet die Mutter davon, dass Tom bei anderen Kindern oftmals aggressiv ist, und dieses Verhalten auch den Eltern entgegenbringt, wenn die Eltern etwas von ihm verlangen. Dann werden diese von ihm mit derben Schimpfworten beschimpft, und er verweigert jegliche Leistung.

Wie kann hier die Elternarbeit aussehen?

Wie so oft kann man ein Kind nicht isoliert von seiner Umgebung betrachten. Jeder Mensch ist Teil eines sozialen Systems, und muss, um einen Menschen ganzheitlich betrachten zu können, auch so gesehen werden. Ohne diese ganzheitliche Sichtweise kann keine Therapie durchgeführt werden, da man den Menschen nicht komplett erfassen würde.

Aus therapeutischer Sicht stellen sich hier viele Fragen:

Welchen Status haben die motorischen Leistungen des Kindes im Hinblick auf sein Alter?

Warum hat das Kind diesen Status, was hat es bisher daran gehindert eine altersentsprechende Leistung zu erreichen? (z.B. häusliche Situation)

Welche Ressourcen hat das Kind, wie ist die Motivation und die Frustrationstoleranz?

Welche Ressourcen haben die Eltern?

Welche weiteren Faktoren beeinflussen die Therapie(z.B. Bedürfnispyramide nach Maslow)?

Und noch vieles mehr …

Wie so oft, haben wir ein Kind vor uns, mit mehreren, oft verschiedenen Baustellen, keine dieser Baustellen kann isoliert betrachtet werden, weil sich keiner der Teilbereiche isoliert verbessern kann.

Um eine Verbesserung der Leistungen bei dem Kind zu erreichen stellen sich anfangs nun 2 Fragen:

a) Was braucht das Kind um besser zu werden?
b) Was brauchen die Eltern um dem Kind angemessen helfen zu können?

Der therapeutische Ablauf bei dem Kind besteht erst mal aus der Beobachtung, einer möglichen Testung, und entsprechenden Übungen, das Ziel ist die Förderung der Eigenverantwortung, die Förderung der intrinsischen Motivation und Entwicklung von Erfolgserlebnissen, weil sich nur dieses beim Kind langfristig auf Verhalten und Entwicklung positiv auswirkt.

Was aber brauchen die Eltern?

Verständnis für das Kind,

Verständnis für die aktuelle Situation,

Verständnis für das Verhalten des Kindes,

Verständnis für den individuellen Förderbedarf des Kindes,

Verständnis für den Bedarf an Wertschätzung und Liebe des Kindes, auch wenn es Probleme hat und bereitet, und auch

Verständnis dafür, dass die Eltern auch einen Teil der Baustellen des Kindes sein können.

Was passiert, wenn man in dieser Eltern-Kind-Konstellation einfach nur Aufgaben zum Üben diktiert, kann man sich leicht vorstellen.
Diese würden entweder gar nicht erledigt, vielleicht nur halbherzig, oder vielleicht wieder mit viel Druck und Stress von den Eltern. Oftmals werden diese Blätter auch einfach von den Eltern ausgefüllt, oder werden zu Hause vergessen.
Eine gute Elternarbeit betrachtet hier das systemische Zusammenspiel der einzelnen Menschen. Die Eltern sind da natürlich erste Ansprechpartner um eine Verbesserung der Eltern-Kind-Interaktion zu erreichen. Nahezu alle Eltern, die ich bisher erlebt habe, sind motiviert dieses Verhältnis zu verbessern, um den häuslichen Zustand wieder für alle angenehmer und entspannter zu erleben. Um dann auch in dem Bereich der notwendigen Förderung wieder produktiver, effektiver, und auch liebevoller zu sein.

Diese häufigen Probleme führen in vielen Bereichen, natürlich auch im Hinblick auf die Schule, zu sehr vielen Problemen. Eine Verbesserung kann hier sehr viel bewirken.

Ergotherapie ist keine Erziehungsberatung, auch wenn jedem, der mit Kindern arbeitet, ob als Arzt, Therapeut, Lehrer oder Erzieher, diesen Aspekt in seiner Arbeit immer wahrnimmt und auch beachten wird.

Als Ergotherapeut haben wir einen Auftrag und wie wir diesen Auftrag durchführen hat jeder auf seine Weise gelernt.
Es ist auch unsere Verantwortung, bei den notwendigen Voraussetzungen für eine Verbesserung des Kindes unterstützend zu sein, und diese Notwendigkeiten zu entdecken.

Wie kann man das nun im therapeutischen Alltag erreichen?

Dazu hier nur ein sehr kleiner Auszug:

Betrachtung der Ressourcen der Familie, der Einzelpersonen und deren Interaktion

Abwägung, wie weit kann ich die Eltern direkt mit Aufgaben einbinden, wie weit arbeitet das Kind dann mit, was braucht das Kind; was können die Eltern mit dem Kind leisten, ohne ihre Rolle als liebevolle Eltern abzugeben; wie belastbar sind die Eltern noch im Alltag

Wie belastbar ist das Kind noch? Wie viele Aufgaben kann es nach anstrengenden 8 Stunden Schule und oftmals 2-3 Stunden Hausaufgaben noch erfüllen, wie viel spielendes Kind ist noch da?

Wie ist der Umgang mit dem Kind, z.B. wenn das Kind etwas gemalt hat, wie wird (oder wurde) diese Leistung wertgeschätzt, wie wurde gelobt, wie kann die Motivation des Kindes sich weiter auszuprobieren gefördert werden; wie gehen die Eltern mit "Fehlern" um?

Wie arbeitet das Kind, möchte es etwas tun, oder ist es schon so verzweifelt, dass es jegliche Leistung verweigert, womöglich aus Sorge, es könnte scheitern; dann helfen auch Übungen nicht, sondern führen eher zu weiterer Verweigerung und Frustration, was das Erreichen des Therapieziels erschwert.

Wie kann das Kind, mit Unterstützung der Eltern lernen, auch Aufgaben zu erfüllen, die außerhalb seiner derzeitigen Motivation sind, z.B. regelmäßige Mitarbeit im Haushalt, u. a.

Welche Fördermöglichkeiten wirken sich auf die Leistungen des Kindes, als auch auf das häusliche Verhältnis positiv aus; welche gemeinsamen Spiele sind förderlich, wie z.B. Aktivitäten im Sandkasten, Spielplatz oder im Wald, gemeinsames kochen oder backen, gemeinsames basteln, malen oder werkeln und noch vieles mehr

Wie können die Eltern ihr Kind motivieren und loben, als Menschen wertschätzen und nicht nur als die Summe der Probleme, die das Kind hat; viele Eltern vergessen, dass sie auch, trotz allem Ärger und aller Probleme einen liebenswerten Menschen bei sich haben, der sich auch einfach mal nur angenommen fühlen möchte, ohne dafür eine bestimmte Leistung erbringen zu müssen, und der viele gute Eigenschaften hat. Viele Eltern verlieren leider oftmals ihre “Baucherziehung“ und versuchen es dem Lehrer, dem Arzt, dem Therapeuten oder den Verwandten recht zu machen, und verlieren dabei ihre Authentizität.

In welchen Situationen wird Leistung vom Kind verlangt, z.B. ein gestresstes Kind kann sich nicht ausreichend und effektiv konzentrieren, welche Entspannungsübungen können Eltern anbieten, wo und wie macht das Kind seine Hausaufgaben, wie ist die Umgebung? Eine laute Küche? Kinderzimmer mit kleinem Geschwisterchen? Und und und...

Reine Elterngespräche, ohne Kind, im Idealfall mit beiden Elternteilen, bzw. auch durchaus mit anderen an der Kindererziehung beteiligten Personen sind dagegen sehr effektiv. Oftmals werden auch Erzieher, oder die Lehrer in die Praxis eingeladen, oder man besucht die entsprechende Einrichtung, und redet dort mit den Beteiligten.
Viele Eltern nutzen diesen geschützten Rahmen und die Zeit, reden sehr offen und ehrlich über die Probleme. Man kann es gar nicht mehr zählen, wie oft Eltern in solch einem Gespräch dann in Tränen ausbrechen, und wie motiviert die Eltern eigentlich sind, und wie groß doch die Verzweiflung und die Hilflosigkeit ist.
Durch solche intensiven Gespräche ändert sich sehr viel. Die Eltern erfahren keine Vorwürfe für ihr bisheriges Verhalten, sondern Unterstützung, Entlastung, Hilfe und Beistand.

Es ist leider nicht immer möglich und praktikabel mit den Eltern, nach jeder Stunde detailliert und ausführlich den Ablauf und den Inhalt jeder Therapiestunde zu besprechen, vielmehr ist es sinnvoll diese Gespräche in Ruhe regelmäßig durchzuführen. Grade bei den Kindern, die schon nahe an der Frustrationsgrenze existieren, ist es oft sehr enttäuschend, wenn man vor dem Kind und den Eltern über Defizite oder gemachte Fehler berichtet. Auch wenn in diesem Gespräch viel Gutes berichtet wird, bleibt bei dem Kind dann oft das Negative hängen.
Ein Lob, welches ein “aber“ enthält, ist kein Lob mehr, sondern Kritik.
Noch unangenehmer wird die Situation, wenn man womöglich hinter verschlossener Türe redet. Wem ein aufgeweckter Fünfjähriger in so einem Augenblick schon mal gesagt hat "Du bist ja ne Petze!“, der wird solch eine Situation eher vermeiden wollen. Therapie braucht Wertschätzung und Vertrauen, auf beiden Seiten.

Die Eltern werden immer wieder auch über Zusammenhänge von Symptomen und Verhaltensweisen informiert, und von den vielen Möglichkeiten, die es gibt, um diesen Kreislauf zu unterbrechen. Es können tägliche Routinen und Abläufe besprochen, erkannt und möglicherweise angepasst oder verändert werden. Dementsprechend gibt es oft auch “Hausaufgaben“ für die Eltern. Wie z.B. ein Stresstagebuch, eine Beschreibung wann das Kind gelernt hat, unter welchen Umständen das Lernen verlangt wurde, wie gingen die Eltern mit Verweigerung um, wie hat das Kind darauf reagiert, und vieles mehr.

Manchmal ergibt es Sinn den Eltern entsprechende Literatur zu empfehlen, und die aufkommenden Fragen dann gemeinsam zu besprechen. Bei manchen Eltern ist es auch sinnvoll sie von dieser Literatur etwas wegzubekommen, damit aus der womöglich rationalen Art wieder eine emotionale Herangehensweise entstehen kann.

Manchmal hilft es, wenn Eltern sich wieder Gedanken machen über Themen wie, z.B.:


Wie fühlt sich das Kind wohl, wenn es jeden Tag in der Schule viel Ärger, Stress und Kritik an seiner Person erfährt, und

wenn es beim Nach-Hause-Kommen sofort gefragt wird “Wie war es in der Schule?“

Beim Essen, wo eigentlich eine entspannte und freundliche Atmosphäre sein sollte, vor allem nach einem langen Schultag, kommen dann oftmals nur Fragen wie “was hast du an Hausaufgaben auf?", "Gab es Ärger in der Schule?“, “Du musst gleich dann noch dies und das machen und beeile dich, weil wir müssen noch …“

Die Kinder lernen, es dreht sich alles um Leistung, bzw. dem Leistungsunvermögen. Viele Kinder machen die Erfahrung, wenn ich etwas leiste bekomme ich Zuwendung und werde geliebt. Weniger Leistung bedeutet weniger Liebe, das ist ein Grund warum Kinder oftmals so überzogen und empfindlich auf Kritik reagieren. Sie betrachten die Kritik an der Sache, oft dann als Abwertung der eigenen Person. Die Mathearbeit war schlecht, also bin ich schlecht.

Welche Eltern fragen ihr Kind noch nach dem Befinden, mit einfachen Fragen wie z.B.:

“Wie fühlst du dich? Was hast du heute erlebt? Was hat dir Spaß gemacht?“

Die Anforderungen im Alltag werden immer mehr, einmal für die Kinder, aber auch für die Eltern, was zu einer Spirale von Druck und Anspannung führt, oftmals dann auch zu Verweigerung und Verzweiflung führt. Das thematisieren auch oftmals die Kinder in den Therapiestunden. Sätze wie “Meine Eltern interessieren sich nur für die Schule und nicht für mich“ oder “Die machen jeden Tag nur Stress … die mögen mich nicht“, “Meine Eltern wissen gar nicht wer ich bin“, “Meine Eltern haben Angst vor mir!“ sind nicht mehr die Ausnahme. Solche Aussagen, in vielen möglichen Formen, hören wir sehr oft.

Kinder wollen besser werden, und sind meistens, bei entsprechender Herangehensweise und positiver Perspektive, sehr motiviert. Es braucht nur selten Hilfsmittel wie einen Punkteplan (Token-System) oder Strafen. Oftmals brauchen diese Kinder einfach nur Wertschätzung und Anerkennung für das bisher erreichte, und nicht nur den Blick auf das Negative, oder das, was es eigentlich können sollte. Eine Förderung von dem Punkt, wo es noch gute Leistung bringen kann, die dann auch entsprechend gelobt werden kann, dadurch wird dauerhafte Überforderung vermieden, es fördert weitere Motivation um mehr zu können und mehr zu wollen und dann auch mehr zu schaffen.

Dieser Weg funktioniert langfristig.

Ständige Überforderung, bei Kindern und auch bei den Eltern, schafft Verzweiflung und Blockaden, Verweigerung und letztendlich Resignation. Was bei den Kindern im schlimmsten Fall zu depressiven und/oder aggressiven Verhaltensweisen, oder auch zu Rückzug und Verweigerung führt. Es löst bei den Eltern das Gefühl von Unvermögen und Hilflosigkeit aus. Das führt dann eher zu noch mehr Druck, oftmals auch zu Gewalt bzw. zu noch mehr Bestrafungen und Sanktionen.
Das Therapieziel immer vor Augen, ist es sinnvoll und notwendig die Rahmenbedingen für eine effektive Therapie zu schaffen. Das macht gute Elternarbeit aus.

Zurück zu Tom.

Die Eltern waren im Alltag komplett überfordert. Durch viele Gespräche mit den Eltern konnte eine entspannte und beständigere häusliche Basis geschaffen werden. Die Eltern haben ihren Blickwinkel auf Tom verändert. Er wurde wieder mehr als liebenswertes Kind wahrgenommen, und nicht mehr nur als die Summe seiner Probleme, somit stieg auch wieder Toms Selbstwertgefühl.
Eltern müssen nicht Therapeuten, Lehrer oder Ärzte werden, um ihre Kinder fördern zu können.
Die Eltern konnten langsam ihre liebevolle Elternrolle wieder mehr einnehmen. In dieser Rolle, die wieder mehr Fürsorge, einen liebevollen und beschützten Umgang ausmachte, war Tom bereit sich den häuslichen Übungen zu stellen und hoch motiviert mitzuarbeiten. Somit war die Basis geschaffen, um den therapeutischen Auftrag erst umzusetzen. Ohne diese Änderung wäre eine vernünftige und effektive Umsetzung der Aufgaben für das häusliche Umfeld nicht möglich gewesen, sondern hätte das vorhandene Konfliktpotenzial nur verstärkt, und die Abwärtsspirale weiter unterstützt.

Wo kann Elternarbeit ansetzen?

Es gibt viele mögliche Ansatzpunkte für Elternarbeit, es gibt nicht DIE eine einzige richtige Art, es ist immer eine individuelle Herangehensweise, die bei jedem anders sein kann.
Was bei der einen Familie funktioniert, kann bei der anderen völlig daneben gehen, es gibt keine Pauschalen, sondern immer nur individuelle Empfehlungen und Herangehensweisen.
Eine Verhaltensanalyse oder auch eine Problemanalyse ist eine Möglichkeit der Ergotherapie, um einer Problematik zu begegnen.
Vielfach bemerken wir im Therapiealltag eine Problematik der Eltern-Kind-Interaktion, die neben vielen anderen möglichen Faktoren dafür sorgt, dass ein Problemverhalten des Kindes bestehen bleibt.

Ich möchte hier eine Möglichkeit der Beurteilung mittels der Verhaltensanalyse nach dem SORCK Modell, bei ADHS, darstellen.

Das aufmerksamkeitsgestörte Kind zeigt oft ein bestimmtes Verhalten, bzw. eine wiederkehrende Reaktion auf Anforderung, z.B. die Aufforderung die Hausaufgaben zu erledigen

S = Situation
z.B. Die Aufforderung Hausaufgaben zu erledigen

O= Organismus
Konstitution des Menschen, hier z.B. ADHS

R = Reaktion
z.B.
kognitiv -> "ich kann das nicht"
motorisch -> "ich mach gar nichts" / emotional -> "ich bin wütend /aggressiv"
physiologisch -> erhöhter Puls, schwitzen

C = Conclusion (Folge) z.B.
(C+) Kind bekommt zuerst Aufmerksamkeit, alles kümmert sich
(C+) Kind hat ein Machtgefühl, erlebt die Hilflosigkeit der Eltern
(C-) Das Kind muss sich nicht anstrengen, es kommt durch das “Theater” um die Arbeit herum
(C-) Es kann dadurch keine Fehler machen, und erlebt keinen möglichen Misserfolg

K = Kontinuität
Das C+ Verhalten wird das Kind wahrscheinlich in jeder Situation wieder erleben, also eine kontinuierliche Verstärkung. Das (C-) Verhalten wird eher intermittierend erlebt, manchmal werden sich die Eltern eben doch durchsetzen. 

Grade das intermittierende Verhalten wirkt besonders verstärkend und ist extrem veränderungsresistent. Daher ist es ein großes Problem, wenn Eltern mal nachgeben und mal nicht.
Das sind oftmals die Eltern, die im Gespräch erzählen "eigentlich... bin ich konsequent".
Dieses führt zwangsläufig zu einer Stabilisierung des Verhaltens, da die Kinder gelernt haben, sie können z.B. eine weitere Verweigerung versuchen. Vielleicht klappt es ja doch noch.
Natürlich zeigen nicht alle Kinder dieses Verhalten, da ist es wichtig den Punkt O (Organismus) zu betrachten. Wir haben hier ein Beispiel mit ADHS, für dieses Kind ist die Hausaufgabe wie “Text abschreiben“, oder “3 Päckchen rechnen“, tatsächlich viel anstrengender!
Grade deswegen sind die Verstärker wie z.B. (C+) keine Anstrengung, besonders wirksam und effektiv.
Bei Kindern ohne diese Problematik würde dieser Verstärker nicht so bedeutend sein. Ebenfalls haben die ADHS Kinder eine deutliche Misserfolgserwartung. Es passiert ihnen ständig, dass sie etwas nicht schaffen, nicht zur Zufriedenheit des Umfeldes schaffen, ihre Aufgaben nicht zu Ende bringen, oder die Ergebnisse nicht kontrollieren.
Für diese ADHS Kinder ist es ein enormer Verstärker, wenn die Kinder eben keinen Misserfolg erleben, was dann durch die Vermeidung der Arbeit oftmals gelingt.
Natürlich wird das Kind langfristig negative Konsequenzen erfahren, Ärger in der Schule, schlechtes Zeugnis, langfristige Verschlechterung und so weiter.

Langfristige Verhaltensfolgen sind aber kaum verhaltenswirksam.

Der kurzfristige Erfolg in der belastenden Situation ist da deutlich prägender auf das Verhalten (bspw. Raucher rauchen, weil es ihnen kurzfristig Entspannung bereitet, auch wenn die langfristigen Folgen eher ungünstig sind.)
Es gibt nun, wenn man den Prozess einmal aufgedeckt hat, vielfältige Möglichkeiten der Intervention.
Nahezu an jedem der 5 Punkte an dem SORCK Modell kann eingegriffen werden.
Es kann der Stimulus verändert werden, z.B. wie wird die Aufgabe anders erklärt (z.B. in Anlehnung an das MKT), wie ist die Umgebung gestaltet, wann wird der Stimulus gesetzt. Es gibt die Möglichkeit direkt am Organismus zu arbeiten, sei es mit notwendiger Medikation, Konzentrationstraining, oder kognitives Training zur Verminderung der Misserfolgshaltung.

Selbstverständlich müssen auch unbedingt die Folgen (C) verändert werden. Die Eltern können lernen, dem negativen Verhalten nicht mehr so viel Aufmerksamkeit zu geben. Sondern die Eltern lernen, das gewünschte Verhalten positiv zu verstärken, das eigene Lobverhalten den Erfordernissen anzupassen (z.B. Loben, ohne ein "aber", Loben nicht nur für den Erfolg, sondern auch für die Arbeitsbereitschaft...). Die Eltern können lernen, dem Kind weniger Macht zu vermitteln und erfahren, wie sie eine Konsequenz zeigen können, ohne dafür die Rolle der liebevollen Eltern aufzugeben.

Elternarbeit ist immer ein sehr individueller Prozess. Alles was getan wird, oder auch das was manchmal nicht getan wird, jedes Gespräch und jeder Herangehensweise, jede Empfehlung und jede Aufgabe, hat einen individuellen Sinn im therapeutischen Prozess. Die Elternarbeit sollte immer die positive Entwicklung des Kindes im Auge behalten.

Die Eltern sind die Experten für die eigene familiäre Situation.

Mit den Beteiligten an diesem Prozess kann eine geeignete Förderung entwickelt werden, sodass diese auch von den Familienmitgliedern als eigene Methode angenommen wird. Immer angemessen an den Fähigkeiten und Ressourcen aller Beteiligten.

Somit wird diese dann auch eher motiviert umgesetzt, und nicht als von außen aufgezwungen abgelehnt, oder halbherzig durchgeführt.

Viele Eltern sehen auch die vom Therapeuten durchgeführte Elternarbeit nicht unbedingt als Arbeit, sondern als Erleichterung im Alltag an. Erziehung und Förderung sind idealerweise keine Belastung und dementsprechend keine Arbeit.
Manchmal mag es dann für Außenstehende den Anschein haben, die Eltern hätten keine Aufgaben. Aber die Eltern werden die eigene Verhaltensänderung oder die höhere Wertschätzung, die sie dem Kind gegenüber bringen, als Entlastung im Alltag wahrnehmen und nicht als unangenehme Arbeit, und das ist gut so.

Der Kontakt mit dem Kind und den Eltern in der Praxis sollte immer zwischen Menschen stattfinden (C.Rogers) und den Betroffenen im Fokus haben.

Der therapeutische Weg ergibt sich dann aus der Sichtweise auf die einzelnen Lebensbereiche des Kindes und es gibt so viele individuelle Möglichkeiten den therapeutischen Auftrag zuverlässig zu erfüllen.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Ingo Hess

"Den guten Therapeuten macht nicht nur die Beherrschung einzelner Therapieverfahren aus, sondern vor allem seine Menschlichkeit und seine Flexibilität"

Viktor Frankl (Neurologe/Psychiater)

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